Kultur- und Naturgut Streuobst


Kennen Sie die „Köstliche von Charneus“? „Kassins Frühe“ vielleicht? Haben Sie schon einmal Bekanntschaft mit der „Gräfin von Paris“ gemacht? Und auch „Goldrenette von Blenheim“ sagt Ihnen nichts?

Kei Wunder bei über 3000 Obstsorten, die es heute in Deutschland gibt. Zumal sich selbst in gut sortierten Geschäften von über 1000 Apfelsorten noch höchstens zehn in den Regalen befinden. Golden Delicius, Idared, Gloster und Granny Smith teilen sich den Mark mit Boskoop, Jonagold und wenig anderen Sorten. Sie kommen aus „modernen“, oft eingezäunten Intensivobstplantagen, in denen sich tausende kleinere Niederstammobstbäume platzsparend aneinanderreihen.Streuobstwiese

Dass sich dennoch eine enorme Vielfalt an Obstsorten – Birnen, Kirschen, Zwetschgen, Mirabellen, Kloden und Äpfeln – erhalten konnte, verdanken wir einer Kulturform, die weit mehr bietet als nur schnelle Erträge: Dem Streuobstbau.

Streuobstbau ist der naturnahe Anbau der riesigen Palette heimischer Obstsorten. In losen Reihen, in Gruppen oder ganz unregelmäßiger Anordnung „verstreut“ stehen unter anderem, hochstämmige Apfel-, Birnen- oder Kirschbäume auf Wiesen oder Ackerland meist am Ortsrand.

Alte Aufzeichnungen belegen, dass es schon im 15. Jahrhundert Bauerngärten in unmittelbarer Umgebung von Siedlungen gegeben haben muss. Viele Dörfer waren von richtigen Obstgürteln umgeben. Sein vielfacher Nutzen verhalf dem Streuobstbau zum kontinuierlichen Aufstieg. Viele regionale, an Klima und Landschaft angepasste neue Sorten wurden gezüchtet, oder zufällig neu entdeckt.

Im 18. und 19. Jahrhundert verstärkten staatliche Förderprogramme den Trend zum Streuobstbau. Der Siegeszug schien nicht mehr aufzuhalten. Streuobst erfreute sich als Tafelobst, als Brenn- und Mostobst, zu Mus, Marmelade oder Kuchen verarbeitet in allen Gesellschaftsschichten größter Beliebtheit; bis sich Mitte des 20. Jahrhunderts dann das Blatt plötzlich wendete.

Bald nach dem zweiten Weltkrieg wurde der deutsche Markt wieder zugänglich für Produkte aus aller Welt. Heimisches Obst, während der Kriegsjahre heiß begehrt, verlor nun neben den importierten Südfrüchten deutlich an Attraktivität. Koffeinhaltige Limonaden und lang entbehrte Süßspeisen verdrängten in den darauf folgenden Jahren Äpfel und Birnen mehr und mehr vom Markt.

Die Obstbaugenossenschaften versuchten, ihre wirtschaftlichen Verluste mit neuen Produkten aufzufangen, investierten in Marmeladefabriken und in die groß technologische Herstellung von Fruchtsäften. Nicht mehr Sortenvielfalt war dabei gefragt, sondern hohe Erträge.

In den klimatisch begünstigten  Regionen Europas war der Obstbau bereits teilweise auf die betriebswirtschaftlich billigeren  Niederstammkulturen umgestellt. Unter dem Druck dieses Wettbewerbs trugen die Westdeutschen Obstexperten in Verwaltung und Baumschulen den Hochstammobstbau Anfang der Fünfziegerjahre zu Grabe: einzelne Bundesländer zahlten gar Prämien für Hochstammrodungen und schafften finanzielle Anreize für die Anlage von Niederstammkulturen. Von rationelleren Wirtschaftsweisen, Mechanisierung und großzügigem Dünge- und Spritzmitteleinsatz versprachen sich die Verantwortlichen hohe Erträge zu günstigen Preisen, aus intensiver Obstproduktion auf kleinster Fläche.

Doch allzu leichtfertig wurden in der Euphorie steigender Ernteerträge die Folgen des vermeintlichen Fortschritts übersehen. Überall dort, wo „unrentable“ Streuobstwiesen das Feld räumen müssen für großflächige Obstplantagen, geht damit vielmehr verloren als „nur“ gesunde Nahrungsmittel.

Mit über 5000 Tier- und Pflanzenarten gehören Streuobstwiesen zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas. Ein Streuobstbaum bietet auf mehreren Stockwerken Lebensraum für viele seltene Vögel, Kleinsäugetiere und Insekten. Spitz- und Feldmaus leben an seiner Wurzel, der Igel findet dort ein eigenes Versteck. Der Baumläufer sucht am etwa zwei Meter hohen Stamm nach Nahrung, Holzkäfer und Wespen bohren ihre Bruthöhlen, der Specht hämmert sich eine Niststätte und leistet damit den Baumfledermäusen wertvolle Dienste, die seine verlassene Höhle später beziehen. Im Geäst alter, knorriger Bäume brühten viele Vogelarten: Streuobstwiesen am Rand von Wohngebieten erhöhen deutlich die Lebensqualität der dort lebenden Menschen. Grund dafür ist ihr positiver Einfluss auf das lokale Klima: jeder gesunde Baum produziert mehr Sauerstoff als er verbraucht. Bäume verarbeiten Kohlendioxid, beeinflussen die Lokaltemperatur, gleichen die Luftfeuchtigkeit aus, spenden Schatten und filtern die Luft.

Von der kulturellen Bedeutung der Streuobstwiesen zeugen u. a. die vielen Namen, unter denen der vergorene Saft von Äpfeln und Birnen seine Anhänger hat: Sidre, Viez, Äppelwoi oder Most.

 
Fitmacher Streuobst: Was ist drin im Saft?

1 Liter Apfelsaft enthält
unter anderem (*)
      1 Liter Limonade enthält:
         
10,0 mg   Vitamin C   ./.
0,5 mg   Vitamin B1   ./.
0,3 mg   Vitamin B2   ./.
0,5 mg   Vitamin B6   ./.
Spuren   Vitamin A   ./.
Spuren   Vitamin E   ./.
3,0 mg   Eisen   ./.
0,1 mg   Fluorid   ./.
40,0 mg   Magnesium   10,0 mg
1,2 mg   Kalium   10,0 mg
70,0 mg   Kalzium   ./.
Spuren   Proteine   ./.

(*) Durchschnittswerte, ermittelt aus verschiedenen Quellen. 

Immer mehr Verbraucher haben in den letzten Jahren Streuobstprodukte als aromatische und für die Ernährung wertvolle Alternative zu Plantagenobsterzeugnissen kennen – und vor allem schätzen gelernt. streuobstwiese mit vieh

Streuobstwiesen sind keine reinen Natur-, sondern über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaften. Sie zu erhalten, heißt deshalb nicht in erster Linie, sie zu schützen, sondern vielmehr, sie zu nutzen. Mit seinem Verhalten als Konsument bestimmt jeder einzelne von uns, welche Produkte sich auf dem Markt behaupten können und welche allmählich wieder verschwinden.

Termine
Aktuelle Termine

Verband
Verbandadresse

der Gartenbauvereine Saarland / Rheinland-Pfalz e.V.